Eine Buchhandlung als Spiegel der Geschichte

Vom Wohnzimmertisch an den Rathausmarkt

KLEINMACHNOW. Auf gut 100 Jahre wechselvolle Geschichte blickt die Gemeinde Kleinmachnow inzwischen zurück. Dazu gehört auch, dass eine Ortschronik, die Dieter Mehlhardt 1970 zum 50. Geburtstag der Gemeinde geschrieben hatte, erst jetzt und damit 50 Jahre später veröffentlicht worden ist. „Kleinmachnow. Vom Gutsdorf zur größten Landgemeinde der DDR im Industriegebiet Potsdam/Teltow“ – dieser Geburtstagsschrift verweigerten die zuständigen Behörden vor 50 Jahren aus politischen Gründen die Veröffentlichung. Kleinmachnows Heimatvereins-Mitarbeiter Thomas Kienberg hat jetzt posthum zum 95. Geburtstag dem unvergesslichen Ortschronisten und Gründer der Natura-Buchhandlung symbolisch ein Denkmal gesetzt. Der Heimatverein stellte am 19. August seine verbotene Chronik vor, die nun in der oft ausgezeichneten Traditionsbuchhandlung am Rathausmarkt zu erwerben ist.
„Dieter Mehlhardt sammelte, archivierte, reiste, notierte, veröffentlichte und hielt Vorträge“, schreibt Kienberg über das Erbe des Brandenburger Heimatforschers, „aber am bekanntesten ist er sicher als Verleger und Buchhändler.“ Und der 1988 verstorbene Autor, Ortschronist, CDU-Gemeindepolitiker und nicht zuletzt in Kleinmachnow besonders geschätzte Buchhändler vererbte die Leidenschaft für geschriebene Werke seinem Sohn Holger.
Doch zurück zu den Anfängen: Der von Dieter Mehlhardt 1945 gegründete Verlag „Naturwissenschaftliche Korrespondenz“ entwickelte sich zum privat geführten Buchhandel und sprach sich ab den 60er Jahren als Geheimtipp im Ort herum. An Besuche der bei Buchfreunden beliebten Adresse in der Hohen Kiefer erinnern sich Alteingesessene noch heute gerne, auch wenn ein wenig Wehmut mitschwingt. „Damals war für mich ein Buch noch ein Schatz“, erinnert sich zum Beispiel Kollegin Claudia Anschütz: „Bücher kaufen – das bedeutete in Kleinmachnow bis in die achtziger Jahre: Wir gehen in die Volksbuchhandlung, oder wir gehen zu Herrn Mehlhardt.“
Die Volksbuchhandlung am OdF-Platz war ein Buchladen, wie man ihn kennt. Gut sortierte Regale – Kinderbücher, Belletristik, Krimis, Fachbücher, Ratgeber, Bildbände, eine Kasse. In den Sommerferien wurden dort auch die Schulbücher geholt. Auf der Suche nach einem bestimmten Kinderbuch oder Roman hieß es allerdings nicht selten: „… haben wir im Moment nicht“, denn ausschlaggebend für die Auflagenhöhe eines Titels war nicht immer die Nachfrage, sondern das kontingentierte Druckpapier.
Herr Mehlhardt, Dieter Mehlhardt, war die zum Synonym gewordene Buchhandlung, eine Institution, in der Bücherträume doch noch wahr werden konnten – und ein Laden mit ganz eigenem Charme. Genau genommen war es gar kein richtiges Geschäft wie die Volksbuchhandlung, sondern ein Wohnzimmer in einem kleinen Kleinmachnower Siedlungshaus in der Leninallee 69 (heute Hohe Kiefer). Betrat man den Raum, sah man im ersten Moment nur Bücher über Bücher – an allen Wänden bis unter die Decke sowie stapelweise auf und unter einem riesigen Tisch, an dem gefühlt zwei Fußballmannschaften Platz gefunden hätten. Und irgendwo dazwischen wuselte der freundliche Herr Mehlhardt herum.
Seine Regale waren auch gut sortiert, es wirkte nur viel voller. Das Verhältnis zwischen vorhandenem Platz und Büchermenge war irgendwie anders als in der Volksbuchhandlung. Und man verabschiedete sich eigentlich nie von ihm, ohne mindestens ein Buch gekauft zu haben. Hatte er einen gewünschten Titel auch gerade nicht in seinem Sortiment, so konnte man sicher sein, dass man ihn kurze Zeit später abholen konnte.
Den Grundstein für die lange Geschichte der Natura-Buchhandlung legte Mehlhardt Senior mit der Herausgabe von Gartenbau-Fachliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab den 50er Jahren folgte der Verkauf von Titeln anderer Verlage als Versandhandel für die gesamte DDR. Dem Verlag strichen die sowjetischen Besatzer in den 60er Jahren aber das Papierkontingent, berichtet Mehlhardt Junior, und so wuchs der Buchhandelsbereich im kleinen Ladengeschäft unter dem Titel Natura. Acht Mitarbeiter sorgten damals für überdurchschnittlichen Service.
Mit 19 Jahren übernahm 1989 der Sohn das Geschäft und er konnte 1991 die Volksbuchhandlung am OdF-Platz kaufen. 2004 zog er in die viel größeren Räume am Rathausmarkt um und erweiterte das Angebot 2007 um eine weitere Filiale auf der gegenüberliegenden Seite des Rathausmarkts.

gm, ca

Bild oben: Früher und heute: die Buchhandlung in der Hohen Kiefer (kl. Bild, Foto: Mehlhardt privat) und am Rathausmarkt (Foto: ca)
Kleines Bild: Dieter Mehlhardt (Foto: Mehlhardt privat)

Verbotene Ortschronik erstmals aufgelegt

Feierliche Präsentation des Heimatvereins (vertreten durch Kathrin Heilmann) vor der Natura Buchhandlung: Zum 95. Geburtstag von Dieter Mehlhardt erscheint erstmals nach 50 Jahren seine Ortschronik von 1970. (Foto: Thomas Blumrich)

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