Das Stück der Stunde

„Biedermann und die Brandstifter“ im Schlosspark Theater

STEGLITZ. Dem Haarwasserproduzenten Gottlieb Biedermann geht es gut. Er ist beruflich erfolgreich und vermögend. Eines Tages liest er von Brandstiftungen in der Stadt. Und regt sich über die Täter auf. Warum man denn gar nichts gegen diese unternehme! Doch als die Pyromanen bei ihm anklopfen, lässt er sie bei sich wohnen. Am Ende brennt sein Haus ab. Er und seine Frau landen in der Hölle.
Wie es dazu kommt, dass Biedermann all seine Bedenken immer wieder verdrängt und seine eigenen Prinzipien verrät, wird in dem Theaterstück trefflich erzählt. Dabei kommt die Komik bei aller Tragik nicht zu kurz. Denn immer wieder gibt es kleine lustige Bemerkungen und Running Gags, die aber dem Ernst der Geschichte keinen Abbruch tun. Dieter Hallervorden, dem man sein Alter überhaupt nicht ansieht, als Biedermann spielt sich nicht in den Vordergrund, sondern einfach die perfekte Rolle eines Spießers, der einerseits herzlos ist, andererseits aber auch ängstlich und klug genug, seine Bedenken zu rationalisieren. Die weiteren Parts sind ebenfalls großartig besetzt: Christine Zander als hilflose Fabrikantengattin, Dagmar Biener als biestiges Dienstmädchen. Georgios Tsivanoglou als schmieriger Schmitz, der Ringer und Feuerteufel sowie Mario Ramos als Eisenring, sein kühl-intellektueller Kumpan. Der expressive Oliver Seidel leitet den Chor der Feuerwehrleute, die Biedermann warnen. Allerdings vergeblich. Ein großes Lob gebührt auch dem Regisseur, Philip Tiedemann, und dem Bühnengestalter, Alexander Martynow. Mit beweglichen Kulissen und Raucheinsatz wird die Bühne lebendig und lässt einen tief in die Geschichte eintauchen, die sich mit der Frage beschäftigt: Warum lassen wir uns eigentlich so leicht täuschen?
Einer der Brandstifter erklärt den Mechanismus so: „Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste ist Sentimentalität. Die beste aber ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“ Doch vermutlich liegt es auch daran, dass wir nur sehen, was wir sehen wollen, um unser Selbstbild nicht zu beschädigen. Abschließend stellt sich noch die Frage, warum man das Stück auf jeden Fall besuchen sollte. Die Geschichte wurde in der Vergangenheit auf den Nationalsozialismus oder Kommunismus hin interpretiert. Doch wenn man an die vielen verdrängten Gefahren denkt, sei es in der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, sei es die Russlandpolitik der Schröder/Merkel-Ära oder auch bei den Coronamaßnahmen, erkennt man, dass sich die Mechanismen des Verdrängens, Beschwichtigens und Selbstgefährdens nicht ändern. Im Zentrum des Theaterstücks steht das zeitlose und zutiefst menschliche Thema, dass man zwar ein begründetes Unbehagen spürt, dieses aber unterdrückt, bis es zur Katastrophe kommt. Max Frisch nannte seine Geschichte ein „Lehrstück ohne Lehre“. Was man aber doch lernen kann: Die Zeiten ändern sich, aber der Biedermann in uns wird niemals sterben. Wir müssen daher lernen, ihm zu misstrauen.
Das Premierenpublikum, unter dem sich viel Berliner Prominenz befand, quittierte die Botschaft und die große Leistung des Ensembles mit frenetischem Applaus. Das Stück läuft noch bis Ende April 2023.

Bild:
Vom Premierenpublikum frenetisch gefeiert – u.a. Georgios Trivanoglou, Dieter Hallervorden, Christiane Zander, Mario Ramos (v. l.)
(Foto: © DERDEHMEL/Urbschat)

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