Kunst zieht die Städter aufs Land

Ausflugstipp: Ein neues und ein bewährtes Netzwerk führen ins Oderbruch und nach Beelitz
„Theater am Rand“ in Zollbrücke

REGION. Wenn man denkt, hier ist die Welt zu Ende und es sei nichts mehr zu erwarten, dann befindet man sich auf dem richtigen Weg zum „Theater am Rand“. Diese Spielstätte liegt am Rand der Oder und ist ein quicklebendiger Ort, der seit den neunziger Jahren baulich und personell erfreulich wächst. Das Oderbruch – oder ganz genau der Ort Zollbrücke am Rande von Oderaue und der Zäckericker Loose – ist das Zuhause eines privat vom beliebten Schauspieler Thomas Rühmann und dem Musiker Tobias Morgenstern gegründeten Theaters. Inzwischen ist das Haus als Spielstätte eine Attraktion über Brandenburg hinaus, hier sollte man einfach mal gewesen sein. Auch weil die Freiheit greifbar scheint: Im Theater am Rand gibt es traditionell keine Tickets, es gilt „Eintritt bei Austritt“; gezahlt wird, was einem die erlebte Vorstellung wert ist. Doch: Wie kommen Kunst und zahlreiches Publikum aufs Land?
Im Oderbruch haben sich schon zu DDR-Zeiten Bildhauer oder Maler ihren Platz und ihre Freiheit genommen und leerstehende Bauernhöfe mit Ateliers und Wohnhäusern wiederbelebt. Inzwischen ist die zweite Künstler-Generation nachgewachsen, die die Einsamkeit im dünn besiedelten Oderbruch mit seinen unberührt wirkenden Landschaften und attraktiven Quadratmeterpreisen schätzen. Und dann helfen gemeinsame Veranstaltungen: Ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern öffnet zum Beispiel im Mai für Besucher 36 Ateliers und Werkstätten, und das löst einen regelrechten Ansturm auf die Kulturschaffenden im Oderbruch aus. Bewundernswert viel Leistungsbereitschaft für die Kunst auf dem Land wird gezeigt.
Auch im Sommer bietet die Initiative des tüfteligen Theaters mit seiner „Randwirtschaft“, „Deutschlands einziger bio-zertifizierten Theatergastronomie vom Ökodorf Brodowin“, einen Anlass für einen Theaterbesuch im Oderbruch. Und wer hin will, schafft es auch: Der „Oderbus“ fährt noch bis Oktober sonnabends im Zweistundentakt Zollbrücke zum VBB-Tarif an. Die Ausflugslinie 879 hält pünktlich zur 15-Uhr-Vorstellung direkt an der Bühne.
Am jeweils ersten Sonnabend im Monat unterhält bei der ersten Fahrt um 10.47 Uhr ab Bad Freienwalde zudem eine Gästeführerin an Bord mit Wissenswertem zum Oderbruch. gm

Bilder oben:

Das „Theater am Rand“ (l.) erreicht mit seinem Spielplan viele Theaterfreunde, im Juli zum Beispiel mit „Die Entdeckung der Langsamkeit“ nach dem Roman von Sten Nadolny (Foto: gm)
Die Gründer des Theaters: Schauspieler Thomas Rühmann (r.) und Musiker Tobias Morgenstern (Foto: Christina Bohin)

Kunstremise der Wassermühle Ernst Vogel“ in Beelitz

Zusammenschließen und ein Netzwerk bilden ist auch eine Strategie, die in Beelitz verfolgt wird: Hier gründeten mit der Landesgartenschau 2022 fünf Künstlerinnen und Künstler eine neue Gruppe.

Frederik Poppe arbeitet in seinem Atelier in historischen Räumen in Beelitz-Heilstätten. Der Mensch und die soziale Dimension von Ressourcen haben ihn zu dieser Collage (l.) inspiriert. „Hinter den sieben Wassern“ von Anna Adam aus Wittbrietzen in Beelitz. (Fotos: privat)

Sie zeigen in wechselnden Ausstellungen Brandenburger Künstler in der städtisch entwickelten „Kunstremise der Wassermühle Ernst Vogel“. Noch bis zum 28. Juli ist ihre bereits fünfte Ausstellung zu sehen. Anna Adam, Norbert Müller und Frederik Poppe haben sich mit dem Thema „Wasser“ auseinandergesetzt. Das kreative Beelitzer Start-up zeichnet eine große Aufbruchsstimmung der professionellen jungen Künstler aus, die es in den letzten Jahren in die umliegenden Dörfer, aber auch in das neue Wohnquartier in Beelitz-Heilstätten verschlagen hat – weit weg von der Großstadt.
Am 11. Juli lädt das neu ins Leben gerufene Kunstnetzwerk um 18 Uhr zur Gesprächsrunde mit der Bundestagsabgeordneten Sonja Eichwede (SPD) in die Kunstremise. Thema: Zwischen den angekündigten Förderungen des Bundes für „Kultur auf dem Lande“ und den verfügbaren Ressourcen für Künstler bestehe eine Diskrepanz. Darüber möchten sie ins Gespräch kommen, erklärt Anna Adam, Mitbegründerin des Beelitzer Kunstnetzwerks. Begleitet wird das öffentliche Gespräch von einer Kunstaktion: 99 Luftballons mit 99 persönlichen Postkarten gegen Rechtsextremismus werde man losfliegen lassen, um auf die „Kunst auf dem Land“ aufmerksam zu machen. gm

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